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Mythologische Weltgeschichte in 250 TeilenPublius Ovidius Naso Ovid - Metamorphosen
Ironie und Mehrdeutigkeit als Stilmittel in der Literatur wurde nicht erst von Thomas Mann erfunden. Bereits in der Antike wurde damit erfolgreich gearbeitet - und hatte teils tragische Folgen. So wurde beispielsweise Ovid wegen angeblich in seinem Gedicht „Ars Amatoria – Liebeskunst“ versteckter ironischer Anspielungen und Kritik gegen die vom römischen Kaiser Augustus erlassenen Ehegesetze im Jahre 8 n. Ch. auf die Insel Tomi verbannt. Und das, obwohl das Gedicht bereits im Jahre 1 n. Ch. veröffentlicht wurde. Doch auch sein Folgewerk aus dem Jahre 3. n. Chr. wurde falsch interpretiert; zumindest, wenn man den Aussagen des Autors Glauben schenkt.
„Metamorphosen“ ist vordergründig eine mythologische Weltgeschichte: beginnend mit der Genese endet das epische Gedicht mit einem Loblied auf Augustus; eine wahrlich große Zeitspanne, in der mannigfache Wandlungen stattfinden. Augustus verstand „Metamorphosen“ jedoch als Affront: dort wird davon erzählt, dass sich die Welt ständig ändert, alte Strukturen zusammenbrechen, neue Reiche entstehen. Könnte dies eine Prophezeiung, eine versteckte Botschaft an die Kritiker des Kaiser sein, dass auch irgendwann das römische Reich die Weltherrschaft verlieren wird, die Dynastie der „Augustiner“ vom Antlitz der Erde getilgt werden wird? Und dies ist nur eines der Dinge, die man Ovid vorwarf.
Helden und Götter als Stalker
In direkter Nachfolge zu Properz und Tibull war auch Ovid ein Verfechter der elegischen Liebe: der Liebende schwört der Angebeteten ewige Treue, obwohl er weiß, dass diese ihn nie erhören wird; sie wird zum Idol, zu seinem goldenen Kalb. In der Wechselbeziehung weiß die abgöttisch Geliebte von seiner sklavischen Hörigkeit und so erträgt er jede Willkür von seiner erbarmungslosen Abgöttin.
In „Metamorphosen“ weicht Ovid von diesem Bild ab. Oft sind es Helden und/oder Götter, die Frauen nachstellen. Deren einzige „Schuld“ ist ihre Schönheit, Ausstrahlung oder sonstige Einzigartigkeit. Von elegischer Liebe ist hier keine Rede mehr. Einziges Ziel ist es, der Auserwählten habhaft zu werden. Entführung, Raub, Mord, Vergewaltigung sind die Mittel, um zum Ziel zu kommen. Manchmal weiß sich die Verfolgte den Nachstellungen nur durch ewige Gestaltwandlung zu entziehen. Konnte sich die Bedrängte nicht auf die eine oder andere Art entziehen, wird sie von der gehörnten Ehefrau als Kepse beschimpft. Allein sie, die Unschuldige, bekommt den Zorn in voller Gänze zu spüren und wird von der betrogenen und gedemütigten Gattin für die „Verführung“ ihres Gatten zur Rechenschaft gezogen.
Vortrag der Elegien voller Verzweiflung und Mitleid
Rolf Boysens Lesung der von Laura Olivi bearbeiteten Fassung ist ein Panoptikum der Gefühle. Wieder und wieder bricht er das Versmass, um auch die Aufmerksamkeit der nicht-textsicherer Hörer auf winzige Ungereimtheiten, ironische Anspielungen Ovids auf das augustinische Sittenbild, hinzuweisen. Dabei nimmt die Kunstpause bzw. unverkennbare Ironie eine wichtige Rolle ein. Schon in der Anfangsphase bedrohlicher Ereignisse, in denen sich der Hörer vielleicht geistig noch in der vorhergehenden Geschichte bewegt, beginnt sein Vortrag anzuschwellen wie eine Tsunami-Welle nach einem Seebeben. Dann beginnen die sprecherischen Wellen langsam anzuschwellen: die Verzweiflung des einen vermischt sich mit der Sturheit des anderen. Auf und Ab, aber stets harmonisch, schwillt die Lautstärke, beginnen die Schallwellen sich zu vermischen: pure Angst, Niedergeschlagenheit, das Wissen um die unaufhaltsame Katastrophe vermengen sich mit triumphalen, trompetenden, hämischen Worten des vermeintlichen Siegers bis Rolf Boysen dann, während er sich vor Gram die Stimmbänder rauft, in das unvermeidliche Schicksal ergibt und mit trauerndem Untergang zur nächsten Geschichte überleitet.
Doch hält „Metamorphosen nicht nur dergestalte Erzählungen bereit. Auch Rache spielt eine große Rolle. Keine Häme spricht aus Rolf Boysens gewaltig donnernden Stimme, wenn gerechte Vergeltung geübt wird. Das unabwendbare „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ drängt sich aus seiner Brust empor und hallt im Zuschauerraum, sich an den Separees vervielfältigend, ungebrochen zur Bühne zurück – ein bravouröses Echos des Erben von Ovids längst verstummter Stimme.
Rezensent: Wolfgang Haan
Verlagsinformation
Menschen entstehen aus Schlamm und Steinen, Nymphen werden zu Sträuchern, übermütige Jünglinge stürzen auf ihrem Himmelsflug ab, ein altes Ehepaar nimmt die Gestalt von Bäumen an ... Die Rede ist u. a. von Pyrrha und Deucalion, Daphne und Apoll, Daedalus und Ikarus, Philemon und Baucis. Hier ist der ganze ausufernde Mythenschatz der Antike versammelt.
Rolf Boysen, der „große alte Mann des deutschen Theaters“ (Süddeutsche Zeitung), liest Ovids Verwandlungsgeschichten mit seiner ganzen rhetorischen Raffinesse und scheint sich dabei immer mehr selbst zu verwandeln in reinen Klang, in Rhythmus, Stimme und Widerhall.
Ein großer Moment der Vergegenwärtigung von Kunst und des Erlebbarmachens von Text. Jeder im Saal war sich der Einzigartigkeit dieses Abends wohl bewusst.
MÜNCHNER MERKUR anl. Rolf Boysens Lesung im Münchner Residenz Theater
Rolf Boysens Lesung hat Kraft, Klarheit und Tiefgang. Meisterhaft. TAGESANZEIGER / ZÜRICH
Bei Boysen, mal rau, knarzig, dann wieder fast singend - große Orgel der Rezitierkunst. Ganz alt und ganz neu. Was kann einem Dichter, einem Hörbuch, besseres passieren. Ein Glück. Niemand muss es hören. Aber wer sich mit Rolf Boysen hinsetzt, lernt nicht nur einen großartigen Sprecher kennen, einen (vermeintlich) alten Poeten, sondern etwas über sich selber, sein eigenes Leben, die ewige Dauer im Wechsel. DIE ZEIT
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