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Zerrissen zwischen drei WeltenHugo Hamilton - Der Matrose im SchrankDer „Matrose im Schrank“ ist, nach dem Überraschungserfolg „Gescheckte Menschen“, Hugo Hamiltons zweiter Teil seiner literarisch verarbeiteten Kindheits- und Jugenderlebnisse.
Die literarische Figur Hugo Hamilton ist der Sohn eines fanatisch-nationalistischen Iren und einer ausgewanderten Deutschen. Seine Geschichte spielt Anfang der 60-er Jahre in Irland. Als hätte man als pubertierender Jugendlicher nicht schon genug Identitätsprobleme, werden ihm von seinen Eltern weitere schwerwiegende Entscheidungen abgenötigt. Beide üben auf unterschiedliche Weise Druck auf ihn aus. Sein cholerischer Vater verbietet beispielsweise, dass in „seinem Haus“ Englisch statt Irisch gesprochen wird oder verhängt eine Ausgangssperre. Bei Verstößen gegen „seine“ Regeln gerät er in einen gewalttätigen Rauschzustand und schlägt mit äußerster Brutalität zu. Seine Mutter trägt in sich die Schuld, nichts gegen die Nazigräuel unternommen zu haben. Sie vermittelt ihrem Sohn, dass niemand von Geburt an unschuldig ist, ja sogar, dass man auch die Schuld der Eltern mit tragen muss und sich diese erst verdienen muss; eine Art zweiter Erbsünde. Diese Schuldgefühle werden noch durch die Ablehnung seiner Klassenkameraden und dem ihm verliehenen Spitznamen – Adolf Eichmann – verstärkt.
Eine Fluchtmöglichkeit aus diesem Dilemma bleibt ihm zunächst nicht, bis er gemeinsam mit seinem einzigen Freund eine Aushilfsstelle im Hafen annimmt. Hier fühlt er sich frei von Restriktionen; hier kann er englisch sprechen und fluchen. Wie so häufig in der Literatur scheint das Meer die einzige Fluchtmöglichkeit aus dem erstickenden Familienmilieu. Er träumt davon, in die Fußstapfen seines Großvaters, des schwarzen Schafs der Familie: dieser fiel im Weltkrieg als Matrose auf einem englischen Schiff.
Doch letztendlich erkennt er, dass eine Flucht ihn nicht von seiner Verantwortung, seinen Schuldgefühlen befreien kann. Er tritt zwar die Nachfolge seines andersartigen Großvaters an, geht dabei aber seinen eigenen Weg. Denn nur so kann er sich seinen eigenen Dämonen stellen, sie besiegen und/oder mit ihnen leben lernen.
Nebenschauplätze
Doch wäre „Der Matrose im Schrank“ ein recht tristes Lesevergnügen, wenn sich Hugo Hamilton allein auf die Darstellung der Kämpfe zwischen bigottem Vater, treuherziger Mutter und pubertierendem Sohn beschränken würde. Das Buch besticht nicht nur durch die präzisen, lebendigen Beschreibungen des irischen Arbeitermilieus und des herrschenden politischen Klimas. Großartige Beschreibungen der irischen Landschaft wechseln sich mit Erzählungen über irische Bräuche ab; erste Kontakte des pubertierenden Jugendlichen mit Mädchen spielen eine genauso große Rolle wie die Fehde zwischen zwei verfeindeten Fischern, die sich fast bis aufs Messer bekämpfen. Auch ausländische Einflüsse beeinflussen Hugo: die Musik der Beatles veranlasst Hugo zu seiner eigenen kleinen Revolution gegen seinen Vater; ein mehrtägiger Ausflug mit Kameraden wird für ihn zu seinem Jakobsweg: hier wird er sich innerhalb kürzester Zeit über viele Dinge klar, die ihn bewegen und belasten. Besondere Bedeutung bekommt der Besuch des deutschen Vetters xxx. Zwischen den beiden Jugendlichen entwickelt sich schnell eine Freundschaft. Beide schaffen es nicht, sich den ererbten Schuldgefühlen zu entziehen. Doch im Laufe des Buches schafft es jeder auf seine individuelle Art, damit umzugehen und sie als Teil seines Lebens zu betrachten.
Rezensent: Wolfgang Haan
Verlagsinformation
DER ZWEITE TEIL DER HINREIßENDEN DEUTSCH-IRISCHEN ERINNERUNGEN.
„Kraftvoll, komisch, hinreißend schön“ – der erste Band der Erinnerungen von Hugo Hamilton war eine kleine Sensation. Jetzt erzählt der Dubliner Schriftsteller den zweiten Teil – eine ebenso poetische wie kompromisslos unsentimentale Geschichte von Liebe und Hass zwischen Vater und Sohn, von unbändigem Freiheitsdrang und tiefer Sehnsucht nach Heimat.
Ein Sommer im Irland der sechziger Jahre. Hugo, Sohn eines Iren und einer Deutschen, versucht mit allen Kräften, seinem Zuhause zu entkommen. Zuhause, das ist der ständige Druck, sich gebetsmühlenartig der Gräuel der Nazis zu erinnern, das ist das zwanghafte Aufrechterhalten der irischen Kultur, das sind die starren Regeln und wutentbrannten Schläge des Vaters, der seinen Kindern rigoros verbietet, zu Hause englisch zu sprechen. Hugo entzieht sich dem Ganzen auf seine Art: Während der Vater weg ist, hört er heimlich Musik aus England, doch dummerweise vergisst er hinterher, die Single wieder vom Plattenteller zu nehmen. Bei Tisch führt Hugo Selbstgespräche auf Englisch, und obwohl der Vater spürt, was vor sich geht, kann er nichts dagegen tun. Später unternimmt Hugo mit einem Freund eine aufregende Reise auf die andere Seite des Landes, zu den Aran-Inseln. Dort fühlt er sich leicht und frei. Zum ersten Mal kann er die überwältigende Schönheit Irlands in vollen Zügen genießen, ohne dass ihn jemand dazu zwingt.
Als die Familie Besuch aus Deutschland erhält, kommt endlich Bewegung in die festgefahrenen Verhältnisse, und Hugo stellt fest, dass Abschied und Heimkehr lediglich zwei Seiten derselben Medaille sind. Und plötzlich erhält der Begriff „Familie“ eine neue Bedeutung für alle ...
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